Biographien in der heutigen Zeit, insbesondere jene der nachwachsenden Generationen, folgen keinem linearen Verlauf mehr, wie einst die geradlinige Abfolge von Ausbildung mit nachfolgender Arbeitsphase und Familiengründung sowie danach der Lebensabschnitt des Ruhestands. Heutige Lebensläufe, auch „Multigrafien“ genannten, zeichnen sich aus durch immer extremere Brüche, wie mehrfache Ausbildungswege, häufiger Arbeitsplatzwechsel, Streben nach individueller Erfüllung und Sinn, statt nach monetären Zielen. Auf sozialer Ebene spielt die Aushebelung des klassischen Familienideals, entweder auf Basis eines bewusst gestalteten Single-Daseins oder bspw. einer Zweitehe in der Ausgestaltungsvariante der Patchwork-Familie häufig eine immer wichtigere Rolle.
Individualismus äußert sich aber nicht nur in der heterogenen Ausgestaltung des eigenen Lebens, sondern auch in der Erfüllung von individuellen Produktwünschen. Das sog. „Maker Movement“ entwickelte sich dadurch, dass gewisse Produktionstechnologien, wie z.B. der 3D-Druck oder das CNC-Fräsen´,entweder die Individualisierung des Produkterlebnisses erleichtern oder sogar in Zukunft die Eigenherstellung zu erschwinglichen Preisen ermöglicht. Internetplattformen wie Ebay oder Amazon ermöglichen den leichten Austausch von Waren, ohne hohe Kosten im klassischen Einzelhandel zu verursachen. Vermarktungsportale wie Da Wanda machen den Vertrieb von „Selbstgemachtem“ für jedermann abbildbar, ohne einen eigenen Internetshop. Die Folge: Nischenprodukte sind immer leichter am Markt frei zugänglich. Diese Strategie des Warenverkaufs nennt man auch „Longtail-Strategie“.
Neben dem Streben nach Individualität gewinnt paradoxerweise aber auch ein anderer Megatrend immer mehr an Bedeutung: die Wir-Gesellschaft. Genauer hingeschaut passen beide Megatrends passen tatsächlich zusammen – das individuelle „Ich“ eingebettet in ein großes Gesamtnetzwerk. Möglich machen es moderne Telekommunikationstechnologien auf Basis des Internets. Individualismus bedeutet nämlich nicht gleichzeitig auch Egoismus. Beide Extreme schließen sich immer weniger aus, sondern ergänzen einander. Wie zwei Seiten einer Medaille. Menschen agieren nicht nur persönlich, sondern kollaborieren über Soziale Netzwerke, schaffen eigene Informationen und Inhalte, tauschen Gegenstände und Wissen („Sharing Economy“) – vielleicht auch bald Energie von Nachbar zu Nachbar. Teilen und Zugang zu Gemeinschaftsgut wird in der sozialen Gemeinschaft plötzlich wichtiger als persönlicher Besitz. Führt dies irgendwann zum Schwächeln der kapitalistisch geprägten Wirtschaftsordnung? Viele Experten, wie z.B. der amerikanische Soziologe Jeremy Rifkin, meinen „ja“ und sagen schon für die Mitte des 21. Jahrhunderts ein neues Paradigma im gesellschaftlichen Zusammenleben voraus.
Unternehmen verbleibt im Rahmen der Produktentwicklung keine andere Strategie, als der mit dem Individualismus einhergehenden Diversivität durch die Einbringung verschiedenster Blickwinkel zu begegnen. Vielfältige Aspekte sind einzubeziehen, wie die Verschiedenheit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, z.B. auf Grund von Alter, Geschlecht, Herkunft, kulturellen Hintergrund, Ausbildungsschwerpunkt etc.. Aber auch die Sichtweise von Kunden sowie das Wissen über gesellschaftliche und technologische Megatrends spielen eine wichtige Rolle. Dabei ist bedeutend, dass Heterogenität als Chance begriffen wird und nicht als Bedrohung.
Burkhard Hergenahn